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Tafel 2 Mundharmonika, Gliersteig, Rathaus
Produktionssaal bei C.A. Seydel in den 1950er Jahren
© Archiv Musik- und Wintersportmuseum

Tafel 2 Mundharmonika, Gliersteig, Rathaus

Die Mundharmonika

1829 bringt der Klingenthaler Instrumentenhändler Johann Wilhelm Rudolf Glier von einer seiner zahlreichen Reisen eine Mundharmonika mit und organisiert in Folge die eigene Herstellung dieser Instrumente in Klingenthal. Damit begründete der gelernte Holzblasinstrumentenmacher einen neuen und sich bald schwunghaft entwickelnden Industriezweig im „Klingenden Tal“.

Nachdem bereits 1823 Christian Wilhelm Meisel („Schwarzmeisel“) erste Versuche der Herstellung dieses Instruments machte, jedoch lediglich die hölzernen Kanzellenkörper in Klingenthal herstellte, aber die Stimmplatten mit den Tonzungen in Graslitz bei einem Gelbgießer namens Langhammer fertigen ließ, hatten Johann Wilhelm Rudolf Glier und seine Brüder mit Hilfe ortsansässiger Werkzeugmacher nun Herstellungsverfahren für alle Teile entwickelt.

Die Mundharmonika war damals noch ein junges Instrument: Um 1800 experimentierten Erfinder vielerorts in Europa mit durchschlagenden Zungen. Mittels Luftzufuhr zum Schwingen gebracht, sind die kleinen metallenen Blättchen, genannt Tonzungen schließlich das tongebende Element. In Klingenthal wird für die neuartige Instrumentenproduktion in Nachbarschaft des Wohnhauses (heute Standort des Rathauses) am Eingang der Kirchstraße ein Fabrikhaus erbaut. Johann Wilhelm Rudolf Glier überließ die Produktion schließlich seinen Brüdern mit deren Firmen C.F. Glier sen. und Ferdinand Glier & Sohn, welche noch über Jahrzehnte den Klingenthaler Instrumentenbau und den weltweiten Handel seiner Produkte wesentlich mitbestimmten.

Seit den 1830er Jahren gründeten sich rasch weitere Firmen, welche sich auf die Herstellung von Mundharmonikas spezialisierten (siehe Kasten). Das größte Unternehmen war die 1859 gegründete Mundharmonikafabrik Ernst Leiterd in Brunndöbra. 1866 –1877 stieg der Absatz an Mundharmonikas um das Acht- bis Zehnfache. Jährlich wurden bis zu 3 Millionen Mundharmonikas gefertigt. 1871 waren im gesamten Amtsgerichtsbezirk Klingenthal nachweislich 347 Arbeitskräfte direkt in Fabriken der Mundharmonikahersteller beschäftigt. Neben dieser gering erscheinenden Anzahl an Fabrikarbeitern war es vor allem die sogenannte Heimindustrie, deren um ein Vielfaches höhere Zahl an Arbeitern einzelne Schritte der Instrumentenproduktion in der heimischen Küche erledigten und an die Auftraggeber lieferten. Möglich gemacht hat all dies auch der technische Fortschritt der industriellen Fertigung.

1878 erfand der Klingenthaler Maschinenfabrikant Julius Berthold eine Tonzungenfräsmaschine, welche die millionenfache Herstellung der kleinen stimmgebenden Metallblättchen in gleichbleibender Qualität ermöglichte. Nur mit maschineller Unterstützung konnte die Fabrikation der Mundharmonika derartige Dimensionen erreichen.

1883 schrieb die Handwerkskammer, dass fast jede Woche Neuerungen erscheinen und nicht immer darauf Patente angemeldet würden. Von Anfang an leisteten im Raum Klingenthal ansässige Hersteller einen großen Beitrag zur bei der Weiterentwicklung von Instrumenten und Spieltechniken. Davon zeugen Patente und Schulwerke. Der Erste Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise bildeten nur kurze Zäsuren in der Geschichte der Mundharmonikaproduktion. Nach 1945 aber büßte die Mundharmonikaindustrie ihre frühere Bedeutung zugunsten der Handharmonikaproduktion ein. Zwar hatte die Mundharmonika zu DDR-Zeiten ein vielfach höheres Exportpotential, doch war nur noch ein Viertel der Harmonikaarbeiter tatsächlich mit der Herstellung von Mundharmonikas beschäftigt. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg stagnierte zudem die Technologie der Herstellung. Das hatte hohe Produktionskosten zur Folge. Derart wirtschaftlich schwierige Verhältnisse zwangen viele Hersteller zur Aufgabe. Übrig blieb lediglich der volkseigene Betrieb VEB Vermona. 2000 fand erstmals das Mundharmonikafestival „Muha live“ statt. Seitdem lockt dieses Event mit Workshops, Live-Nacht und dem Solistenwettbewerb „Seydel Open“ jährlich tausende Fans dieses kleinen aber äußerst vielseitigen und durchaus stimmgewaltigen Instruments nach Klingenthal. In der Gegenwart firmiert der einzige Hersteller wieder mit dem alten Gründungsnamen aus dem Jahr 1847: C. A. Seydel Söhne gilt deshalb in der Gegenwart als „älteste Mundharmonikafabrik der Welt.“

Das Rathaus

Am 1. März 1912 beschloss der Gemeinderat von Klingenthal den Bau des Rathauses auf dem Grund der Familie Glier, welche das Grundstück kostenlos zur Verfügung stellte. Dem vorausgegangen war ein Architektenwettbewerb. Richard Merz, Architekt aus Dresden, erhielt schließlich den Zuschlag für seinen Entwurf. Bauausführender war Baumeister Max Leheis aus Auerbach. Die Gemeinde nahm für den Bau bei der Landesstädtischen Bank des Königlichen Sächsischen Markgrafentums Oberlausitz einen Kredit auf.

1913 wurde das alte Glier-Haus abgerissen und der Rathausbau konnte beginnen. Am 27. Mai 1913 fand die Grundsteinlegung statt. Auch zahlreiche Klingenthaler Firmen erhielten Aufträge. Am 15. Juli 1914 erfolgt die Einweihung des Rathauses. Das Stadtrecht wurde Klingenthal am 1. Oktober 1919 verliehen. Dem waren in den vergangenen 300 Jahren davor mehrere Versuche zur Erlangung vorausgegangen. Die Entwicklung Klingenthals zu einem Weltzentrum des Mund- und Handharmonikabaus und der damit verbundene Ausbau der örtlichen Infrastruktur mit Gerichtsbarkeit, eigener Verwaltung und eine umfangreichen Verkehrsanbindung an das Schienen- und Straßennetz waren mit dem wirtschaftlichen Aufschwung einher gegangen und hatten schließlich auch die Argumente für die Verleihung des Stadtrechts geliefert.

Johann Friedrich Buschmann

1805 wird in Friedrichroda (Thüringen) Johann Friedrich Buschmann geboren, welcher in der väter­lichen Werkstatt in Berlin mit dieser Art von Tonerzeugung experimentiert und aufgrund seiner Erfindungen „Aura“ (1821) und „Handäoline“ (1822) sicher als einer der Urväter von Mundharmonika und Akkordeon gelten muss.

Neugründungen von Mundharmonikaherstellern

1836 I. C. Herold in Untersachsenberg und Georgenthal
1837 C. F. Doerfel-Steinfelser & Co. in Klingenthal
1838 J. C. Seydel in Untersachsenberg
1844 Gebrüder Ludwig in Brunndöbra
1847 C. A. Seydel Söhne in Untersachsenberg
1848 G. A. Doerfel in Brunndöbra
1850 F. A. Böhm in Untersachsenberg
1850 C. H. Meinel – Schlossmeinel in Klingenthal

 
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Titel: Tafel 2 Mundharmonika, Gliersteig, Rathaus
Druckdatum: 25.04.2025