Folge 5
Das Akkordeon in der Feldpostkiste erreichte im März 1945 unversehrt Klingenthal. Der Besitzer kam nie zurück.

Folge 5

1945: Heimkehr ohne Wiedersehen…

Im Musik- und Wintersportmuseum Klingenthal befinden sich hunderte Handzuginstrumente, darunter auch zahlreiche Exemplare der Firma HESS. Zweifellos gehören Akkordeons gleich aus mehreren Gründen zum Sammlungsziel des Museums. Sie sind Belege für die Existenz verschiedener Markenhersteller ebenso, wie auch wertvolle Sachquellen in Hinblick der Instrumentenkunde. Bauliche Finessen oder eine reichen Verzierung und Farbvielfalt machen jedes dieser Exemplare zu einer Besonderheit. Manchmal aber schreiben diese Sammlungsobjekte noch rührende Geschichten ganz menschlicher Art, so wie das in seltenem Blau schimmernde Akkordeon der Marke „HESS“. Es gehörte einst einem gebürtigen Klingenthaler.

Jahrgang 1920, musste er wie viele andere junge Männer seiner Generation in den 2. Weltkrieg ziehen. Das Akkordeon hatte ihn während seiner Zeit als Soldat an der Ostfront begleitet. 1945, als die Deutsche Wehrmacht im Osten unter dem Druck der Roten Armee nach Westen zurückwich, war auch er dabei. In der Hoffnung auf ein baldiges Kriegende und eine unversehrte Heimkehr sandte er sein Instrument sorgfältig verpackt im Voraus nach Hause. Die Feldpostkiste erreichte Klingenthal im Frühling 1945 unbeschadet. Doch der Eigentümer kam nie zu Hause an: Seine Angehörigen gaben nach Kriegende eine Vermisstensuchanzeige beim Roten Kreuz auf, ein Heimkehrer erkannte ihn schließlich in den 1950er Jahren auf dem Suchbild und berichtete den Angehörigen, er habe den Soldaten im März 1945 schwer verletzt in Gotenhafen (heute Gdynia/ Danziger Bucht in Polen) gesehen. Ein Weitertransport sei ganz sicher unmöglich gewesen. Im Gegensatz zu seinem Akkordeon hatte er es also nicht mehr nach Hause geschafft. Der Klingenthaler wurde für tot erklärt. Die Hinterbliebenen haben mit der Erinnerung an ihn das Hess-Akkordeon in der Feldpostkiste Nummer 29425 über Jahrzehnte bewahrt. Seit einiger Zeit befindet es sich als Dauerleihgabe im Musik- und Wintersportmuseum.

Die Firma „HESS (Ernst Hess Nachf.)“ selbst war eine Vorzeigefirma im Dritten Reich. Als Werbeträger fungierte die Filmschauspielerin Marika Rökk. Mit ihr auf dem Katalogtitel und dem Ausspruch „50.000 Hess-Harmonikas lieferte ich allein im Jahre 1938“ verkörperte die Firma auch das Bild des wirtschaftlichen Aufschwunges der Musikinstrumentenindustrie in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre. Propagiert wurden Heimatverbundenheit und Tradition, beste Handarbeit und ausgezeichnetes Preis-Leistungsverhältnis. Die Firma Hess handelte Musikinstrumente aller Art und unterhielt selbst mehrere Produktionsstätten, beispielsweise für Akkordeons und Metallblasinstrumente. Durch die Militarisierung während der Zeit des Nationalsozialismus erfuhr gerade die Produktion von letzteren eine wahre Blütezeit. Die Instrumente wurden mit ihrem Klang zu Verführern im Sinne der braunen Ideologien. Den hohen Preis aber zahlten die Verführten. Auch 75 Jahre nach Kriegsende ist das Grab des Soldaten aus Klingenthal immer noch nicht gefunden, die Familie sucht bis heute danach.(XB)

Marika Rökk
Verführerisch präsentierte UFA-Filmstar Marika Rökk die Akkordeons der Marke HESS.

 

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