Das Hin und Her über die Frage von Ruhe- und Feiertagen über das Osterfest hatte die Gemüter in der vergangenen Woche auch in Klingenthal erregt. Nach unsteten und meist grauen Wintermonaten ist das Osterfest verbunden mit dem symbolischen Neubeginn der Natur und der wachsenden Unternehmungslust der Menschen. Doch schon vor mehr als 100 Jahren ging es an den Tagen vor Ostern längst nicht so ruhig zu, wie sich die Regierenden von Damals das gewünscht hätten. Das jedenfalls verdeutlicht die Polizeiverordnung aus dem Jahr 1913.
Die mit dem Osterfest verbundenen Feiertage in der Karwoche gaben auch in den Amtlichen Nachrichten für Klingenthal und Umgebung regelmäßig Anlass, auf die gültige Polizeiverordnung hinzuweisen. Diese besagte, dass „am Gründonnerstag und am Ostersonnabend in Theatern, Zirkussen, Varieté, Kabaretts, Konzert- und sonstigen Vergnügungslokalen nur ernsthafte Darbietungen stattfinden dürfen“. Gemeint waren religiöse Stücke, wie etwa Passionsspiele. In Lichtspieltheatern war lediglich die Vorführung von Bildern mit religiösem Inhalt gestattet. Lokalen mit Schankbetrieb waren Veranstaltungen mit Musik, Theater oder gar Tanz strengstens untersagt, ebenso öffentliche gewerbliche Veranstaltungen wie Rennen, Boxwettkämpfe oder Rummel. Drei Tage vor dem Osterfest sollte allgemeine Ruhe einkehren, lediglich religiöse Aktivitäten waren von Seiten des Ministeriums des Innern erwünscht. Keine Pandemie, aber der von vielen Konservativen befürchtete Verfall der gesellschaftlichen Ordnung gab den Anlass regelmäßig auch an die christlich orientierte gesellschaftliche Grundhaltung zu erinnern. Längst aber war die Jahrhunderte währende Welt- und Geistesordnung von der Industrialisierung, politischen Krisen und einer Anonymisierung des Einzelnen gebrochen worden. Vielerorts suchten die Menschen in Sensationen Ablenkung, wagten frivole Vergnügungen und Spaß bei Musik und Tanz. So warben in den Klingenthaler Nachrichten die Gaststuben ganz und gar nicht mit Veranstaltungen, welche der Polizeiverordnung entsprachen, sondern eher mit „süffigem Bierausschank“ und vergnüglichen Vorführungen „für Erwachsene“, etwa im EDION-Kino.
Ostern 1920 war die Ruhe vor dem Osterfest gehörig gestört: Max Hölz, anarchistischer Revolutionär trieb sein Unwesen auch in Klingenthal. In der Klingenthaler Zeitung vom Ostersamstag 1920 ist folgende Notiz zu lesen: „Am gestrigen stillen Karfreitag ist Herr Hölz hier in Klingenthal erschienen und hat im Gambrinus gesprochen. Der Zudrang zur Veranstaltung war ein so gewaltiger, dass der Saal die Erschienenen nicht aufzunehmen vermochte.“ Zumindest diese Veranstaltung mit dem Revolutionär verlief verhältnismäßig ruhig und ohne Zwischenfälle. Doch es sollte in den Tagen darauf noch anders kommen. Der Kommunist Max Hoelz versuchte im Frühjahr 1920 im Vogtland den Aufstand gegen die noch junge demokratische Gesellschaftsordnung der Weimarer Republik und nahm auch wohlhabende Industrielle aus dem Raum Klingenthal im Rathaus als Geiseln gefangen. Seine Forderung: Eine Million Mark. Das erpresste Geld sollte als Sold seinen Rotgardisten ausgezahlt werden, um schließlich auch grenzüberschreitend in der neu gegründeten Tschecho-Slowakei weitere politische Anhänger aufzuwiegeln. Die sächsische Grenzstadt Klingenthal war der vorläufig letzte Ort, in dem Hoelz versuchte seine kommunistischen Ideale durchzusetzen und machte wegen des geplanten Grenzübertritts seiner Truppen und seiner persönlichen Flucht ins Nachbarland diese geschichtliche Episode sogar zu einer internationalen Angelegenheit. Hölz wurde schließlich auf Tschecho-Slowakischer Seite festgenommen, seine Truppen lösten sich auf, die Reichwehr brachte den Bürgern von Klingenthal am 15. April 1920 die öffentliche Sicherheit und Ordnung zurück.
Das Klingenthaler „Original“ Eduard (Edi) Müller dichtete in der Klingenthaler Zeitung schließlich:
Ob Trommel oder Horn
Die Reichswehr ist immer vorn.
Sind es Bayern oder Sachsen,
Alle suchen sie den Maxen.
Dort an der Wand im E d i o n
da haben sie ihn schon.
Drum alles eilt ins Kino aus Neugierde
Weil ich`s im Blatt hier depeschiere.
Beim Anblick einer zur Ruhe auffordernden Polizeiverordnung und den politisch teils wilden Zeiten war die Osterzeit in Bezug auf „Frühlingsgefühle“ wohl eher nüchtern. Eine Annonce in der Klingenthaler Zeitung lautete: „Junger Kaufmann sucht auf diese Art zwecks Heirat Bekanntschaft mit einer häuslich erzogenen, netten und geschäftstüchtigen Dame aus guter Familie mit entsprechendem Vermögen, behufs (zwecks) Übernahme eines altansässigen, gut eingeführten soliden Geschäftes im Klingenthaler Bezirk“. Offensichtlich war ein gemachtes Nest wichtiger als Schmetterlinge im Bauch. Ob der unbekannte Kaufmann mit seiner Annonce tatsächlich Erfolg hatte, ist nicht überliefert.
Ausschnitt aus der Polizeiverordnung von 1913, welche Vergnügungen an Gründonnerstag bis einschließlich Ostersamstag strikt untersagte.
Die Damenwelt schmachtete nach ihm: Es heißt tatsächlich dass Frauen nur ins Kino gingen, um wenigstens auf der Leinwand noch einmal den längst festgenommen Max Hölz wiederzusehen.