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Jahreszahlen und Datumsangaben sind das feste Gerüst der Geschichtsschreibung. Zeitstrahlen sind so etwas wie ein Skelett in dessen Einzelteile sich weitere Zusammenhänge einordnen lassen. Die Lage der festen Punkte jenes Zeitstrahls wird durch beurkundete Verträge oder besondere Ereignissen festgelegt. Was aber, wenn zweifelsfreie Quellen fehlen? Auch die Geschichtsschreibung Klingenthals hat auf ihrem Zeitstrahl einige Punkte, deren Lage noch nicht endgültig festgeschrieben werden können und doch bisher schon strapaziert wurden – etwa für Jubiläumsfeiern.
1852 ist ein solches Jahr. Es gilt allgemein als der kalendarische Beginn der Handharmonikaproduktion in Klingenthal. Dabei existieren historische Quellen, welche berechtigte Zweifel daran wecken. Bisher galt als Quelle für jenes Jahr die Aufzeichnung des Chronisten Karl August Wolf, welcher in seinen „Geschichtlichen Nachrichten über das Klingenthaler Kirchspiel“ für das Jahr 1853 notierte: „Das im Laufe des vergangenen Jahres aufgekommene Fabricieren von Acordions und Zieh-Harmonica`s gelangte in diesem schnell in Flor.“ – Rein rechnerisch scheint der Rückschluss auf 1852 ganz einfach. Im Sinne einer Quellenanalyse gilt Pfarrer Wolf zwar als ein glaubwürdiger Zeitzeuge, kritisch betrachtet ist es doch nur eine persönliche Notiz.
Die Handels- und Gewerbekammer Plauen aber berichtete 1963, die Fabrikation von Konzertinas sei bereits 1851 in Klingenthal aufgekommen. – Ein Jahr hin oder her, was ist das schon. Aber was auf dem Zeitstrahl der Geschichte im Millimeterbereich scheint, wird zu größerer Maßeinheit bei näherer Betrachtung. Jenseits der Firma J.C. Herold, die eben 1852 mit der Herstellung von Handzuginstrumentenbegonnen haben soll, scheinen sich bereits andere Firmen fast zehn Jahre eher mit einer serienmäßigen Produktion befasst zu haben: Quellengrundlage ist hierfür die Schlichtung eines Patentstreits vom 9. März 1853. Die Akte des Königlich Sächsischen Innenministeriums besagt, dass das Patent auf eine Pressmaschine zur „Herstellung von Accordeonlöcherplatten“ zurückgenommen werden muss. Patenteigentümer Gustav Osmar Leiterd hatte einem Fabrikanten namens Hess untersagen wollen, jene Technik zu nutzen. Dieser wehrte sich und es kam zu einer erneuten Prüfung durch das sächsische Ministerium. Ergebnis: Bereits 1846/47 habe es bei der Firma Johann Christoph Seidel „Schneideplatten, welche Seydel 1846 bis 1847 zur Herstellung von Akkordeonlöcherplatten benutzt hat“ gegeben. Diese seien nahezu identisch mit jenen, die Leiterd für sich als Patent reklamierte. Leider berichtet nur eine sogenannte Sekundärquelle, nämlich Lehrer Otto Lorenz im Jahre 1906 über den einstigen Patentstreit. Das originale Gutachten aber hat es tatsächlich gegeben. Im Sächsischen Staatsarchiv ist es noch im Inventar vermerkt, nur leider nicht mehr existent, weil ein „Kriegsverlust“.
Ein früherer Beginn der Handharmonikaherstellung in Klingenthal ist durchaus möglich. Das Patent für ein „Accordion“ wurde 1829 von Cyrill Demian in Wien angemeldet, bereits 1834 versendete der Markneukirchner Instrumentenhändler Traugott Merz einen „Posten Accordions“ nach Philadelphia/ USA (vermutlich aber aus Wiener Herstellung), 1835 begann die Firma C.F. Uhlig in Chemnitz mit der Konzertinafertigung, im benachbarten Thüringen produzierte man seit den 1840er Jahren. Warum also hätte erst die Firma Johann Christoph Herold 1852 als erste mit der Produktion beginnen sollen? Begründet ist dies mit Adolf Eduard Herold, welcher bei der Firma Gessner in Magdeburg als erster Klingenthaler die Herstellung erlernt haben soll. Aber der gelernte Tischler war gar kein Einzelfall. Tischler Hermann Gündel, welcher 1854 von Johanngeorgenstadt nach Klingenthal zog, arbeitete laut Aussage der Firma Gebrüder Gündel bereits „einige Jahre für die Klingenthaler Industrie, insbesondere für den Bandoneon- und Konzertinabau“. Dessen Sohn Richard Gündel heiratete die Tochter jenes Fabrikanten Friedrich Ferdinand Hess, den Leiterd 1853 in den Patentstreit verwickelt hatte.
Welche Quelle ist nun die glaubwürdigste? Mit dem Patentstreit scheint die Widerlegung des Jahres 1852 durchaus plausibel, doch ein abschließendes Urteil über die Quelle wäre nur mit Einsicht des Originals möglich. Die Geschichtsschreibung bleibt also auch in Klingenthal weiterhin in Bewegung. Für die Geschichtswissenschaft ist das Routine. Ein kritischer Umgang mit Quellen ist die Grundlage für die Anordnung der Punkte auf dem Zeitstrahl. Dass dabei manche Markierungen noch nicht sicher gesetzt werden kann, ist der ernsthafte Anspruch an den Nachlass folgender Generationen. Nur der Mut zur Lücke führt zum Ziel, auch wenn es manchmal weniger populär scheint.URL: | |
Titel: | Folge 23 |
Druckdatum: | 21.11.2024 |